Nach Parlamentswahl in der Slowakei: Was bedeutet das Comeback von Robert Fico?

Analyse

Robert Fico ist als Ministerpräsident der Slowakei zurück. Was bedeutet sein Wahlsieg für die demokratische Opposition und Zivilgesellschaft? Worauf muss sich die EU einstellen? Und welche Lehren lassen sich für die Demokratie ziehen?

Porträt von Robert Fico, der gerade im Anzug durch eine Tür geht

Am 1. Oktober wachte die Slowakei nach der vorgezogenen Parlamentswahl in einem Szenario auf, das vor fünf Jahren unvorstellbar schien. Nach der Ermordung des Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Verlobten Martina Kušnírová 2018 und der Enthüllung von Korruptionsskandalen, die bis in die höchsten Ebenen der Politik und Justiz reichten, musste der damalige Premierminister Robert Fico zurücktreten. Nun ist Fico zurück – mit 23 Prozent der Stimmen als klarer Wahlsieger und inzwischen auch als bestätigter Premierminister. Um dies zu erreichen, setzte er in seiner Kampagne auf prorussische, homophobe und EU-feindliche Botschaften.



Ficos Comeback wirft viele Fragen auf. Ist zu befürchten, dass die neue Regierung das Land nach einem illiberalen Playbook Schritt für Schritt umgestalten wird? Wird die Slowakei dem Nachbarn Ukraine, den sie bisher tatkräftig unterstützt hat, den Rücken kehren? Haben die EU und die NATO statt eines verlässlichen Verbündeten nun ein neues Problemkind in ihren Reihen? Und welche Lehren zum Aufstieg von Rechtspopulisten kann man aus dem slowakischen Beispiel ziehen, um europäische Demokratien resilienter zu machen?

Fico ist kein Sozialdemokrat

Die Tatsache, dass die rechtsradikale SNS (Slowakische Nationalpartei) Teil von Ficos Regierungskoalition ist, zeigt sehr deutlich: Weder die SMER-SSD Ficos (Richtung – Slowakische Sozialdemokratie) noch die aus einer Abspaltung von ihr hervorgegangene Partei HLAS-SD (Stimme – Sozialdemokratie) sind tatsächlich sozialdemokratische Parteien. Zu diesem Schluss kam im Zuge der Regierungsbildung in der Slowakei auch die europäische Parteienfamilie PES, der beide Parteien angehören, und schloss SMER-SSD und HLAS-SD aus. Auch die S&D-Fraktion im Europäischen Parlament begrüßte diese Entscheidung.

Auch viele Slowak*innen machen sich über den Wahlsieger Fico keine Illusionen, denn sie sehen hinter seiner Rückkehr vor allem zwei Beweggründe: Zum einen die Rache an denjenigen, die er für seinen Sturz verantwortlich macht, und die Flucht vor den strafrechtlichen Folgen der Korruptionsskandale, in die er verwickelt ist. Die Befürchtung, Ficos Regierung könnte den Rechtsstaat schwächen, um sich und andere vor weiteren Ermittlungen und Strafen zu schützen, hat sich aus der Sicht seiner Kritiker*innen schneller und ungeschminkter bewahrheitet als erwartet: Der erste Schritt des neu ernannten Innenministers Šutaj-Eštok (HLAS-SD) war es, den Polizeipräsidenten abzuberufen. Im Koalitionsvertrag hat das Kabinett außerdem angekündigt, das Strafmaß für Wirtschaftskriminalität und Korruption senken zu wollen.

Immerhin hat die Fico-Regierung im Gegensatz zur ungarischen Regierung keine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit der Mandate und dadurch einen kleineren Spielraum, den Rechtsstaat abzubauen und demokratische Institutionen zu demontieren. Sie kann trotzdem genug anrichten, um denjenigen das Leben schwer zu machen, die ihr kritisch gegenüberstehen. Das sind in erster Linie Akteur*innen aus Medien und Zivilgesellschaft, die Fico schon in seiner Wahlkampagne wiederholt angriff. Mit der Schikane ihm unliebsamer Organisationen will er nun als Premierminister ernst machen: Die Einführung eines aus Russland und anderen Autokratien bekannten Labels „ausländische Agenten“ für Organisationen, die aus dem Ausland gefördert werden, hat er nicht nur direkt nach seinem Wahlsieg angekündigt, sondern auch in den Koalitionsvertrag aufgenommen. Auch in Bezug auf Medien plant das Kabinett mehrere Schritte: von der Zerschlagung der öffentlich-rechtlichen Fernseh- und Hörfunkanstalt über die Umschichtung staatlicher Werbeaufträge -bis zur Informationsblockade für unliebsame Medien – wie es auch in Ungarn der Fall ist.

Vor fünf Jahren haben die slowakische Zivilgesellschaft und Medien ihre Vitalität und Schlagkraft bewiesen. Denn es war ihnen zu verdanken, dass die Korruptionsaffären unter der Fico-Regierung ans Licht kamen. Sie riefen zu Protesten auf, die Zehntausende auf die Straßen brachten und zum Regierungswechsel führten. Fico weiß bereits, wie gefährlich seine Kritiker*innen ihm werden können, deshalb will er sie schwächen. Regierungskritische Stimmen werden Ausdauer und Ressourcen benötigen; außerdem auch Unterstützung aus Brüssel und anderen Mitgliedstaaten sowie vor allem von der Opposition.  

Diese steht schon bereit: Die Partei Progressive Slowakei (PS) konnte Fico zwar nicht besiegen, wurde aber mit knapp 18 Prozent zweitstärkste Kraft. Mit den Worten ihres Vorsitzenden Michal Šimečka versprach sie, „eine harte Opposition und die Hüterin der Demokratie im Parlament“ zu sein. Die noch relativ junge Partei hat schon mehrere Abgeordnete im Europäischen Parlament, war jedoch in der letzten Legislaturperiode nicht im slowakischen Parlament vertreten. Wenn sie ihrem Versprechen gerecht werden will, muss sie schnell lernen, als nun stärkste Oppositionskraft der Regierung die Stirn zu bieten.

Keine Waffen mehr an die Ukraine?

Entscheidend für die Außen- und Europapolitik der neuen slowakischen Regierung ist die Frage, ob Fico zu seiner früheren Strategie zurückkehrt, in Bratislava als Populist und in Brüssel als Pragmatiker aufzutreten. Ein erster wichtiger Lackmustest für die außenpolitische Strategie der Slowakei war, ob Fico beim EU-Gipfel Ende Oktober 2023 einem weiteren Hilfspaket der EU für die Ukraine zustimmen würde.

Vor der Wahl machte Fico mit der Aussage Schlagzeilen, die Slowakei werde im Falle eines Wahlsieges der SMER-SSD „keine einzige Patrone mehr an die Ukraine schicken“. Das war eine überraschende Ansage aus einem Land, das zusammen mit Polen als erste EU-Mitgliedstaaten der Ukraine Kampfjets bereitgestellt und bisher weit über Hunderttausend Geflüchtete aufgenommen hat. Noch vor seinem Abflug nach Brüssel kritisierte Fico das Hilfspaket und auch während des Gipfels forderte er lautstark Garantien, dass die Hilfen in der Ukraine nicht veruntreut und slowakische Firmen am Wiederaufbau des Landes beteiligt werden. Nach dieser Botschaft für sein einheimisches Publikum stimmte er für das Paket. Die estnische Premierministerin Kaja Kallas kommentierte daraufhin:

„Solange Spitzenpolitiker von EU-Mitgliedsländern die falschen Sachen sagen und die richtigen tun, ist alles in Ordnung“.

Dieser Kommentar blendet aber den Schaden aus, den Ficos Agieren in der Slowakei verursacht. Mit seiner Rhetorik vor Ort schürt Fico nämlich das Misstrauen der Bürger*innen in die EU.



Es ist zu vermuten, dass Fico auch weitere außenpolitische Entscheidungen berechnend und zynisch entlang vermeintlich „slowakischer Nationalinteressen“ und ihrem „Verkaufswert“ gegenüber seiner Wählerschaft treffen wird. So wird die Slowakei keine Waffen mehr aus ihren Beständen an die Ukraine liefern. Das macht laut Expert*innen allerdings einen höchstens symbolischen Unterschied, weil unter den Vorgängerregierungen bereits alles an verfügbarem militärischen Material geliefert worden sei. Außerdem will Fico kommerzielle Lieferungen durch slowakische Waffenhersteller nicht einschränken und sieht Gelegenheiten für die slowakische Wirtschaft durch die Beteiligung am Wiederaufbau des Landes nach dem Krieg, vor allem in der angrenzenden Ostslowakei.



Slowakische Nationalinteressen im Dienste Ficos werden in seinen politischen Entscheidungen vermutlich auch eine viel stärkere Rolle spielen als seine Freundschaft mit Viktor Orbán. Dieser verkündete seine Freude über den Wahlsieg Ficos in den sozialen Medien und hofft auf einen Verbündeten in der EU sowie in der Visegrád-Gruppe. Obwohl sich Fico offensichtlich von Orbán in vielem inspirieren lässt, könnte am Ende sein Interesse am Zugang zu EU-Mitteln überwiegen. Diese braucht er unbedingt, um sein Versprechen der wirtschaftlichen Stabilität und Prosperität einzulösen: Der Koalitionsvertrag verspricht sowohl einen Ausbau des Sozialstaats als auch eine Konsolidierung des Staatshaushalts, was ein schwieriger Spagat ist und ihm nicht erlaubt, auf Geldeinkünfte zu verzichten. Deshalb wird Fico wahrscheinlich vermeiden, rote Linien zu überschreiten, die wie im Falle Polens und Ungarns zum Einfrieren von EU-Geldern führen könnten.

Fico bekennt sich zudem zu einer „Politik der vier Himmelsrichtungen“ . Dahinter verbirgt sich im Grunde die Absicht, die außenpolitische Zusammenarbeit nicht mit Rücksicht auf europäische und westliche Partner zu gestalten, sondern rein nach den aktuell definierten nationalen Interessen. Das wird die Slowakei in Europa zu einem schwer berechenbaren und wenig verlässlichen Partner machen. Einer engeren Zusammenarbeit mit autokratischen Staaten wie Russland sind damit Tür und Tor geöffnet. Ein Interesse am Ausbau der Beziehungen mit China haben alle drei Parteien der Regierungskoalition bereits im Wahlkampf geäußert.

Eine solche Politik des nationalen Egoismus kann die Slowakei, ein kleines und wirtschaftlich sehr mit der EU verflochtenes Land sowie Mitglied der Euro-Zone, in eine Isolation führen, die eigentlich nicht im Interesse des Landes liegen kann. Solange das innenpolitische Interesse Ficos überwiegt, wird er auf die negativen Auswirkungen seiner Außenpolitik für das Land höchstwahrscheinlich wenig Rücksicht nehmen.

EU- und Außenpolitik war in der Vergangenheit eigentlich nicht sein Metier, früher hatte er dieses Feld dem erfahrenen Diplomaten Miroslav Lajčák überlassen, der heute Sonderbeauftragter der Europäischen Union für den Dialog zwischen Belgrad und Pristina und andere regionale Angelegenheiten im Westbalkan ist. Sein neuer Außenminister legt jedoch die Vermutung nahe, dass sich das nun ändern könnte: Mit seinem Parteigenossen Juraj Blanár wählte Fico einen sehr loyalen Regionalpolitiker ohne jegliche außenpolitische Erfahrung und mit eingeschränkten Englischkenntnissen für dieses wichtige Amt aus. Das macht es für Fico einfacher, dieses Politikfeld unter seine Kontrolle zu bringen.

Drei Lehren aus der slowakischen Parlamentswahl

Demokratien in Europa und der Welt bedroht. Unter diesen Umständen wäre es zu einfach, den Wahlausgang in der Slowakei als eine Besonderheit Mittelosteuropas zu betrachten. Vielmehr ist es wichtig zu erörtern, was man daraus lernen kann, um andere europäische Demokratien gegen solche Entwicklungen resilienter zu machen und sich auf anstehende Wahlen vorzubereiten, vor allem auf die Europawahl im Juni 2024. Meiner Meinung nach kann man drei wichtige Lehren aus dem Wahlausgang in der Slowakei ziehen:

1.    Schlechtes Regieren kostet Vertrauen – in die Demokratie

Nach der Ermordung von Ján Kuciak und der Aufdeckung von Korruptionsaffären war die politische Karriere von Robert Fico scheinbar am Ende. Die Bürger*innen waren in Aufruhr. 2020 wurde die Partei Ol’ano (Einfache Leute und unabhängige Persönlichkeiten) von Igor Matovič vor allem mit einem Versprechen zum überraschenden Wahlsieger: die korrupten Strukturen zu zerschlagen, die Unabhängigkeit der Justiz und Polizei wiederherzustellen. Schon bald verfiel seine Regierung jedoch in persönliche Streitereien und Chaos und fiel mehr durch Inkompetenz als durch erfolgreiche Korruptionsbekämpfung auf. Bereits nach einem Jahr war Matovič an der Regierungsspitze unhaltbar und tauschte den Posten mit seinem Parteikollegen und Finanzminister Eduard Heger, was das vorzeitige Ende der Regierung jedoch nicht abwenden konnte.

Nach weniger als drei Jahren der Matovič-Regierung lag das Vertrauen der slowakischen Bürger*innen in das Parlament und die Regierung nur bei erschreckenden 14 Prozent. Bei einem so erschütterten Vertrauen in die Politik nutzte es im aktuellen Wahlkampf wenig, dass andere Parteien die Korruption unter den früheren Fico-Regierungen anprangerten. Wenn Wähler*innen der Politik im Allgemeinen nicht vertrauen, ist jeder Politiker in ihren Augen potenziell korrupt und handelt im eigenen, nicht im öffentlichen Interesse. Fico mag korrupt sein, aber mit seinem Versprechen von Führung, Erfahrung und Stabilität wirkte er anscheinend für viele wie das kleinere Übel. Für ihr schlechtes Regieren haben in der Slowakei nicht nur demokratische Parteien die Rechnung bezahlt, sondern die Demokratie wurde insgesamt geschwächt.

2.     Nationalismus im sozialen Gewand wirkt wie ein Pflaster

Die Slowakei ist, so wie alle Länder Mittelosteuropas, seit den neunziger Jahren durch eine sozioökonomische Transformation gegangen, die in vielerlei Hinsicht erfolgreich war, aber wenig Rücksicht auf soziale Härten nahm. Neoliberale Reformen, Privatisierung und die auseinanderklaffende Schere zwischen Arm und Reich haben bei vielen Menschen, besonders in ländlichen Regionen, zu Frustration und dem Gefühl geführt, auf sich allein gestellt zu sein. Vor diesem Hintergrund werden auch nostalgische Erinnerungen an den Sozialismus wach, der neben politischer Unfreiheit auch wirtschaftliche Entwicklung und Modernisierung in die ländlichen Regionen brachte – was zum Teil auch die in der Slowakei verbreitete Russlandfreundlichkeit erklärt. Politiker*innen, die mit einer Mischung aus einer sozialen und nationalistischen, in die Vergangenheit gerichteten politischen Agenda auf diese Menschen zugehen, müssen gar nicht außerordentlich talentiert oder charismatisch sein, um ihre Aufmerksamkeit zu wecken. Soziale Versprechen wirken wie ein Pflaster auf die eigenen, oft gravierenden Sorgen und Nöte, die Idee einer nationalen Gemeinschaft wiederum auf die empfundene Machtlosigkeit vieler Wähler*innen

3.    Mit Ehrlichkeit Vertrauen zurückgewinnen

Die Progressive Slowakei setzte in ihrem Wahlkampf auf Ehrlichkeit, progressive Politik und respektvolle Rhetorik – mit einem bemerkenswerten Erfolg. Dabei passt sie so gar nicht zum Stereotyp der Slowakei als ein konservatives, katholisches, ländlich geprägtes Land. Während sich gleichgeschlechtliche Paare noch nicht einmal registrieren lassen dürfen, machte sie die Ehe für alle zu einem ihrer zehn wichtigsten Programmpunkte. Die Progressive Slowakei stieg immer weiter in den Umfragen und selbst als sie zur Hauptherausforderin der SMER-SSD wurde, widerstand die Partei der Versuchung, auf einen catch-all-Kurs umzustellen. Trotz der rhetorischen Übergriffe von Fico und der rechtsradikalen SNS gegen progressive Politik und eine vermeintliche „Genderideologie“ landete die Partei, die 2020 den Einzug ins Parlament verpasste, mit knapp 18 Prozent auf dem zweiten Platz. Sowie im Falle der Staatspräsidentin Zuzana Čaputová, die ebenfalls aus der Progressiven Slowakei hervorging, wussten die Wähler*innen offensichtlich zu schätzen, dass die Partei authentisch und klar in ihrer Positionierung ist, was das in der Slowakei so stark fehlende Vertrauen bei vielen Wähler*innen wecken kann.

Die kommenden Jahre werden für die Slowakei wegweisend sein. Während Fico Richtung Ungarn und Russland schaut, schauen seine Kritiker*innen nun nach Polen und hoffen, in vier Jahren eine ähnliche Wende erkämpfen zu können. Das wird der demokratischen Opposition nur gelingen, wenn sie auch einen Teil der Wähler*innen der aktuellen Koalition überzeugen kann. Zusammen mit der Zivilgesellschaft und den unabhängigen Medien sollte sie dabei nicht auf Polarisierung, sondern auf Stärkung des gesellschaftlichen Zusammenhalts und einen Wiederaufbau des Vertrauens setzen, um die politische Mitte erfolgreich zu mobilisieren.